Englische Version dieses Artikels
„Warum sollte ich an einer solchen Erfahrung in der Wildnis teilnehmen? Ich will doch nicht einen Schritt zurückgehen und wie ein Höhlenmensch leben!“ Diese und ähnliche Fragen und Aussagen erreichen mich immer wieder in unterschiedlicher Form. Es ist die Annahme, dass ich, nur weil ich eine solche Erfahrung leite, glaube, dass wir alle wieder im Wald leben sollten, weil das unserer ursprünglichen menschlichen Natur entsprechen würde. Ich kann diese Schlussfolgerung nachvollziehen, aber ich bin auch der festen Überzeugung, dass die Antwort nicht so schwarz-weiß sein kann.
Je tiefer ich mich mit dieser Frage auseinandersetze, desto klarer wird für mich, dass es unterschiedliche Bedürfnisse gibt, warum wir uns nach einer tieferen Beziehung zu den Lebewesen um uns herum, und damit oft auch nach einem Leben im Wald sehnen. Aber nicht jeder möchte für immer völlig aussteigen. Wenn es wirklich darauf ankommt, sind das sogar sehr wenige, die das wirklich wollen.
Warum ist es dann trotzdem wertvoll, Erfahrungen wie den Wild Moon oder ähnliche Eintaucherfahrungen zu erleben?
Ich habe mir diese Frage ganz persönlich gestellt, und bin zu einer spannenden Antwort gekommen. Ich hatte im Grunde seit ich in diese Wildnis-Welt vor mehr als 10 Jahren eingetaucht bin immer einen inneren Konflikt zwischen dem Bedürfnis nach Naturverbindung und einem komfortablen Leben.
Da ist der eine Teil von mir – ich nenne ihn mal die „Wildheit“ -, der sich sehr genährt fühlt von dieser Verbundenheit, die ich viel intensiver spüren kann, wenn ich draußen lebe. Sie wurde so lange davor nicht gefüttert, dass ich eine Zeit lang verzweifelt jedes einzelne Angebot, jedes Programm, jeden Kurs in mich aufgesogen habe. Es war nicht so viel anders wie jemand der kurz vor dem Verhungern oder Verdursten ist, und nach dem ersten, vorsichtigen Zögern alles in sich hineinschlingt. Inzwischen ist die Wildheit viel besser genährt, aber träumt trotzdem davon, dass wir einfach alle draußen im Wald leben und dieses komplizierte Leben in diesem alles andere als artgerechten Umfeld loslassen. Aus Sicht der Wildheit ist es alles ganz einfach. Aber es gibt nicht nur diesen Teil.
Der Teil, der oft fast schon als Antagonist der Wildheit wahrgenommen wird, ist der Teil, der seine Komfortzone liebt – ich nenne ihn die „Gemütlichkeit“. Sie liebt es, mit der Technik herumzuspielen und immer komplexere Probleme zu lösen. Die Gemütlichkeit ist dankbar, dass die heutige Technologie es uns ermöglicht, mit Menschen aus der ganzen Welt in Verbindung zu stehen und der auch gerne lange im Bett liegen bleibt und es gerne warm hat, ohne etwas dafür tun zu müssen.
Nach längerer Reflexion bin ich zu dem Schluss gekommen, dass diese zwei Anteile, die beim ersten Hinschauen als absolut konträr zueinander wirken, eigentlich das gleiche wollen: Verbindung. Und es geht gar nicht um die Frage, ob jetzt nur das Leben im Wald oder nur das Leben in der Zivilisation dieses Bedürfnis erfüllt. Das sind Oberflächlichkeiten. Vielmehr geht es darum, auch zwischen diesen zwei widersprüchlich scheinenden Welten eine Verbindung herzustellen.
Die Komfortzone ist für jeden von uns sehr unterschiedlich. Wenn wir aber in einer modernen Welt mit sehr viel Komfort aufgewachsen sind, ist es eine viel größere Herausforderung, unsere Komfortzone so auszuweiten, dass wir uns draußen im Wald genauso wohl fühlen wie in unserer Wohnung oder unserem Haus. Es ist schwierig, diese Basis-Komfortzone, die sich in unserer Kindheit entwickelt hat, dauerhaft zu erweitern. Schwierig, aber nicht unmöglich.
Der Wert beider Seiten
Immer wieder auch für ein paar Wochen, ein Monat oder länger draußen zu leben, hilft uns dabei, auch in der modernen Welt mit weniger Komfort auskommen zu müssen, und teilweise sogar zu erkennen, dass wir ihn nicht nur nicht brauchen, sondern gar nicht wollen. Ich möchte beispielsweise gar nicht mehr in einem ständig stabil wohltemperierten Haus wohnen, und bin (zumindest meistens) dankbar, dass ich mich mit meinem Holzofen ein bisschen direkter damit auseinandersetzen muss, wie kalt oder warm es draußen ist, und was zu tun ist, damit mir warm wird.
Aber auch die moderne, komfortable Welt bringt uns wertvolle Dinge, auf die ich nicht verzichten wollen würde, nur weil ich mein Bedürfnis nach tiefer Verbindung mit der Natur nähren möchte. Es ist die Verbindung zu anderen Menschen, die mir wichtig sind, und die aber nicht so leben wollen würden. Es ist der Einfluss von immer wieder neuen und anderen Ideen und Sichtweisen, die viel schneller zu mir gelangen und meine Kreativität befruchten, um nur einige zu nennen.
Was verbindet?
Wenn wir diese zwei Seiten betrachten, und wie wir sie verbinden können, braucht es zunächst ein Anerkennen, wo wir herkommen. Sowohl unsere direkte Geschichte, wie wir aufgewachsen sind, und was wir dabei gelernt und nicht gelernt haben (speziell auch was Komfort angeht), als auch die Geschichte, die ganz weit zurückliegt. Die, wo wir als Jäger und Sammler herkommen und was uns dazu bewogen hat, immer mehr Ackerbau zu betreiben und die aktuelle Entwicklung anzustoßen.
Das beinhaltet ein Anerkennen, dass viele von uns nicht ausreichend darauf vorbereitet sind, dauerhaft im Wald zu leben. Dass wir Zeit brauchen, um dieses Wissen, diese Fähigkeiten und Fertigkeiten wieder zu lernen. Dass wir aber auch anerkennen, dass sich unsere Umwelt geändert hat, und unsere Wälder und Wiesen – wenn sie noch vorhanden sind – viel an ihrer Diversität verloren haben. Dadurch fehlen wichtige Bestandteile für ein dauerhaftes Leben draußen.
Es beinhaltet aber auch ein Anerkennen, dass es Entwicklungen der Moderne gibt, die wertvoll sind. Es macht keinen Sinn, die Zeit zurückdrehen zu wollen. Viel mehr geht es darum, uns daran zu erinnern, was wirklich wichtig ist. Die Erlebnisse und Erfahrungen wieder zurückzuholen, die einen essentiellen Teil unseres Menschseins ausmachen, um dadurch die Beziehungen zu allen Wesen um uns herum zu stärken, da sie ein wichtiger Teil unserer Nahrung für unsere Seele und unseren Körper sind.
Es stimmt, dass wir ursprünglich aus dem Wald kommen. Aber wir müssen nicht die ganze Zeit dort leben. Schon ein gelegentlicher Ausflug in diese andere Welt des Seins und der Beziehungen kann eine immense Bereicherung für unser Lebensgefühl sein, weil es diesen fehlenden Teil unseres Lebens einbezieht, willkommen heißt und akzeptiert. Je länger man bleibt, desto tiefer geht man.
Es geht daher nicht darum, ob wir alle wieder im Wald leben sollten oder nicht. Es geht viel mehr um die Frage, wie wir die Beziehungen und Verbindungen mit allem was uns umgibt – beseelt und (scheinbar) unbeseelt – stärken können und so eine Welt mitgestalten, die uns ALLE nährt. Und einen Mondzyklus draußen zu erleben, kann uns helfen, dieser Verbindung näher zu kommen.
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